36

 

„Hölle und Verdammnis!“

Der schwarz gekleidete Krieger auf dem Vordersitz des Geländewagens neben Tess -  sie nannten ihn Chase -  stieß die Fahrertür auf und sprang hinaus, als Dante und ein anderer Mann aus der Klinik gelaufen kamen.

Dante lief nicht wirklich, er humpelte mehr. Schwer stützte er sich auf den Krieger, der ihn herausgebracht hatte. Sein Kopf hing tief auf der Brust, unbedeckt, die Vorderseite seines Anzugs war aufgerissen, und die lohfarbene Haut seiner Brust schimmerte hindurch, glühend in einem feurigen Rot durch das helle Licht des Morgens.

Chase öffnete die Heckklappe des Geländewagens und half dem anderen Mann, Dante hineinzuhieven. Dantes Fangzähne waren lang, die Spitzen glänzten weiß bei jedem Atemzug, den er durch seinen offenen Mund zog. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, seine Pupillen dünne schwarze Schlitze in der Mitte ihrer hellen bernsteinfarbenen Iris. Er war vollständig verwandelt, ein Vampir, den Tess fürchten sollte, aber jetzt nicht konnte.

Seine Freunde arbeiteten schnell. Ihr verbissenes Schweigen ließ Tess das Blut gefrieren. Chase schloss die Heckklappe und rannte herum zur Fahrertür. Er sprang hinein, warf den Gang rein, und sie waren unterwegs.

„Was ist ihm passiert?“, fragte sie ängstlich, da sie kein Blut oder andere Zeichen einer Verletzung an Dante entdecken konnte. „Ist er verwundet?“

„Strahlung“, sagte der, den sie nicht kannte. In seinem ernsten Ton klang ein slawischer Akzent mit. „Der verfluchte Crimson-Dealer hat ein Fenster rausgehauen. Dante musste den Scheißkerl im Sonnenlicht killen.“

„Warum?“, fragte Tess und beobachtete, wie Dante sich auf der Rückbank regte. Sie fühlte seine Höllenqual und die Besorgnis, die seine beiden ernsten Gefährten ausstrahlten. „Wieso hat er sich überhaupt darauf eingelassen? Warum seid ihr alle hier?“

Mit kleinen, aber kontrollierten Bewegungen schaffte Dante es, einen seiner Handschuhe abzustreifen. Von dort, wo er lag, streckte er die Hand nach ihr aus.

„Tess …“

Sie nahm seine Hand in ihre und betrachtete seine starken Finger, die ihre umschlossen. Das Gefühl, das durch ihre Verbindung wanderte, reichte tief in sie hinein, eine Wärme -  ein Wissen - , die ihr den Atem raubten.

Es war Liebe, so groß, so heftig, es machte sie sprachlos.

„Tess“, murmelte er, die Stimme nur wenig mehr als Luft.

„Du warst es. Nicht mein Tod … deiner.“

„Was?“ Sie drückte seine Hand, Tränen traten in ihre Augen.

„Diese Visionen … Ich war das gar nicht, aber du. Ich konnte nicht …“ Er brach ab, atmete scharf in offensichtlicher Qual. „Ich musste es aufhalten. Ich konnte dich nicht … ganz egal wie.“

Tess’ Tränen liefen über, rannen über ihre Wangen, als sie Dantes Blick standhielt. „Oh Gott, Dante. Du hättest das nicht riskieren dürfen. Was, wenn du an meiner Stelle gestorben wärst?“

Seine Lippen hoben sich an einem Mundwinkel leicht und entblößten die Spitze eines schimmernden Fangzahns. „Es war es wert … dich hier zu sehen. Das war … jedes Risiko wert.“

Tess nahm seine Hand zwischen ihre, wütend und dankbar und kein bisschen ängstlich wegen seines fürchterlichen Anblicks, wie er da auf der Rückbank lag. Sie hielt ihn fest und ließ nicht los, bis sie das Hauptquartier erreichten. Chase parkte den Geländewagen in einem tief liegenden Hangar, der mit Dutzenden anderer Fahrzeuge vollgestellt war. Sie stiegen alle aus, und Tess versuchte, nicht im Weg zu stehen, während Dantes Kameraden ihn aus dem Wagen hoben und auf eine Reihe Fahrstühle zutrugen.

Dantes Verfassung schien sich mit jeder Minute zu verschlechtern. Als sie die Fahrstühle erreichten und ein Türenpaar sich öffnete, konnte Dante kaum noch aus eigener Kraft stehen.

Im Korridor trafen sie auf eine Gruppe von drei Männern und zwei Frauen, die alle sofort in eilige Aktivität verfielen.

Eine der Frauen kam zu Tess und legte ihr eine freundliche Hand auf die Schulter. „Ich bin Gabrielle, Lucans Gefährtin.

Bist du in Ordnung?“

Tess zuckte die Achseln und nickte schwach. „Wird Dante wieder gesund?“

„Ich glaube, es wird ihm viel besser gehen, wenn er weiß, dass du in der Nähe bist.“

Gabrielle bedeutete Tess, ihr hinunter in den Flur zur Krankenstation zu folgen. So stand sie nun wieder in dem Flügel, wo sie vorhin vor Dante geflohen war. Sie betraten den Raum, in den Dante gebracht worden war, und Tess sah zu, wie seine Freunde ihm die Waffen abnahmen, ihn aus dem Arbeitsanzug und den Stiefeln pellten und ihn vorsichtig in ein Krankenbett legten.

Tess war bewegt von der Besorgnis aller in diesem Raum.

Dante wurde hier geliebt, akzeptiert für das, was er war. Er hatte eine Familie hier, ein Heim, ein Leben -  und jetzt hatte er das alles riskiert, um sie zu retten. So sehr sie ihn fürchten wollte, ihm zum Vorwurf machen wollte, was zwischen ihnen passiert war -  sie konnte es nicht. Sie sah Dante an, der litt, weil er sich für sie geopfert hatte, und alles, was sie fühlte, war Liebe.

„Lasst mich“, sagte sie sanft und trat an Dantes Bettkante. Sie begegnete den besorgten Blicken der Leute, die sich um ihn kümmerten -  der Krieger, die um ihn versammelt waren, der zwei Frauen, deren zärtliche Blicke sagten, dass sie verstanden, was sie empfand. „Lasst mich ihm helfen … bitte.“

Tess berührte Dantes Wange, streichelte sein starkes Kinn.

Sie konzentrierte sich auf seine Verbrennungen, ließ ihre Finger über seine nackte Brust streichen, über die schönen Zeichnungen, die roh und voller Blasen waren und in wütendem Farbwechsel changierten. So sachte sie konnte, legte sie ihre Hände auf das versengte Fleisch, gebrauchte ihre Gabe, um die Strahlung herauszuziehen, den Schmerz zu nehmen.

„O mein Gott“, flüsterte einer der Krieger. „Sie heilt ihn.“

Tess hörte jemanden ehrfürchtig nach Luft schnappen, vernahm die Worte der Hoffnung, die zwischen Dantes Freunden

-  seiner Familie -  hin und her flogen. Sie fühlte etwas von ihrer Zuneigung auf sich überfließen, aber so willkommen die Wärme dieser Grüße auch war, Tess war vollständig auf Dante konzentriert. Darauf, ihn gesund zu machen.

Sie beugte sich über ihn und drückte einen Kuss auf seinen schlaffen Mund, unerschüttert vom Kratzen seiner Fangzähne an ihren Lippen. Sie liebte ihn vollständig, so wie er war, und sie betete für die Chance, ihm das sagen zu können.

 

Dante war auf dem Wege der Besserung. Seine UV-Verbrennungen waren schwer gewesen -  lebensbedrohlich - , aber die heilenden Hände seiner Stammesgefährtin hatten sich als wesentlich mächtiger erwiesen als der Tod, der ihn gejagt hatte. Wie die anderen im Hauptquartier war Chase sehr erstaunt über Tess’ Fähigkeit und über ihre völlige Hingabe an Dante. Sie war jeden Augenblick an seiner Seite und pflegte ihn, wie er es für sie getan hatte, nachdem er sie vor dem Angriff der Rogues gerettet hatte.

Jeder stimmte zu, dass sie ein gutes Paar sein würden: Beide stark als Individuen, würden sie zusammen unzerstörbar sein.

Nun, da der schlimmste Teil des Sturms hinter ihnen lag, breitete sich ein Geist des Friedens und der Ruhe im Quartier der Krieger aus. In Erwartung der Nacht wanderten auch Chase’

Gedanken zu seinem Heim. Seine eigene Reise war noch nicht zu Ende, und die Straße vor ihm war düster und unsicher. Einst war ihm alles so klar erschienen. Was die Zukunft für ihn bereithielt, wo er hingehörte … und zu wem.

Jetzt war er sich in nichts mehr sicher.

Er sagte den Kriegern und ihren Gefährtinnen Lebewohl und ging, hinaus aus der Welt des Ordens, zurück in seine eigene.

Die Fahrt zurück in die Stadt war ruhig. Die Räder seines geborgten Wagens drehten sich, die Straße verschwand hinter ihm in der Dunkelheit, aber wo sollte er hin, nach alledem?

Konnte er einfach wieder seine Heimat im Dunklen Hafen aufsuchen? Die Sinne geschärft durch die kurze Zeit, die er in der Gesellschaft von Kriegern verbracht hatte, der Körper beschwert durch all das Metall, das er unter seinem Mantel trug -  die verschiedenen Klingen, die Neunmillimeter Beretta, die irgendwie ein angenehmer Druck an der Hüfte geworden war -  wie konnte er erwarten, je wieder in das gesetzte Leben zurückzukehren, das er einst geführt hatte?

Und was war mit Elise?

Er konnte nicht wieder in jene quälende Existenz eintreten, in der er eine Frau begehrte, die er nie bekommen würde. Er musste ihr erzählen, was er für sie empfand, musste die Würfel fallen lassen, was immer sie ihm auch zeigen würden. Sie musste alles erfahren. Chase machte sich keine Illusionen, er hatte wenig Hoffnung, dass sie seine Zuneigung willkommen heißen würde. Tatsächlich war er nicht sicher, ob es überhaupt irgendetwas zu erhoffen gab. Er wusste nur, dass das Halbleben, das er bislang geführt hatte, nun vorbei war. Er fing ein neues Leben an.

Chase fuhr auf die Torstraße des Dunklen Hafens zu, überwältigt von einem Gefühl der Freiheit. Die Dinge waren dabei, sich für ihn zu ändern. Und obwohl er keine Ahnung hatte, wie sich hier alles entwickeln würde, fühlte er sich befreit von dem Wissen, dass er einen Wendepunkt seines Lebens erreicht hatte.

Er rollte die Kiespiste hoch und parkte neben der Residenz.

Das Haus war von innen erleuchtet. Aus Elises Schlafzimmer und den Wohnräumen schien sanftes Licht. Sie war wach.

Wahrscheinlich wartete sie besorgt darauf, dass er mit Nachricht aus dem Hauptquartier zurückkehrte.

Chase stellte den Motor ab und öffnete die Tür des Fahrzeugs. Sowie seine Stiefel den Boden berührten, spürte er das prickelnde Gefühl, das ihm verriet: Er war nicht allein. Er steckte die Schlüssel in die Tasche und richtete sich auf, wobei er unauffällig seinen Mantel aufknöpfte. Seine Augen tasteten die Schatten der Nacht ab, bohrten in der Dunkelheit nach einem Zeichen des Feindes, von dem er wusste, dass er da war. Seine Ohren waren auf die kleinsten Geräusche der Umgebung eingestellt -  das Rascheln der nackten Zweige, wenn der Wind in ihnen rauschte, das gedämpfte Summen der Stereoanlage im Haus, im Hintergrund lief Elises geliebter Softjazz …

Und dann, wie ein Kontrapunkt zu all diesem Frieden, das rasselnde Keuchen eines Atems, nicht weit von da, wo Chase jetzt stand. Der Kies knirschte hinter ihm. Chase’ Finger schlossen sich um den Griff der Neunmillimeter, als er sich langsam umwandte, um der Bedrohung zu begegnen.

Camden.

Das Déjà-vu traf Chase wie ein Kanonenschuss in die Eingeweide. Aber sein Neffe sah noch schlimmer aus als zuvor, sofern das überhaupt möglich war. Krusten von geronnenem Blut und Geweberesten bildeten den grausigen Beweis für jüngst begangene Morde, die seinen Blutdurst offensichtlich nicht gestillt hatten. In einem langsamen Trott kam er hinter der Hecke hervor, die ihn versteckt hatte. Seine großen Fangzähne tropften von Speichel, als er Chase taxierte -  offenbar sah er ihn nur als nächstes Opfer des Blutrausches, der seinen Geist und seinen Körper übermannt hatte. Er war unerreichbar gewesen, als Chase ihn in Ben Sullivans Apartment zurechtstutzen wollte. Jetzt war er gefährlich und unberechenbar, ein wilder Hund, der zu lange von der Leine gewesen war.

Chase musterte ihn traurig, voller Gewissensbisse, dass er nicht fähig gewesen war, ihn rechtzeitig zu finden -  nicht fähig gewesen war, ihn zu retten, dass er diese unumkehrbare Verwandlung in einen Rogue nicht hatte verhindern können.

„Es tut mir so leid, Cam. Das sollte dir niemals passieren.“

Unter dem Schoß seines dunklen Wollmantels entsicherte Chase die Beretta und zog die Waffe aus dem Holster. „Wenn ich an deiner statt wäre, ich schwöre …“

Hinter sich, oben am Haus, hörte Chase das metallische Knacken vom Offnen der Vordertür, dann Elises plötzliches Aufkeuchen. Die Zeit lief auf einmal langsamer. Alles dehnte sich aus. Die Wirklichkeit spannte sich wie ein schwerfälliger Traum, ein Albtraum, der mit dem Moment begann, in dem Elise aus dem Haus trat.

„Camden!“ Ihre Stimme schien merkwürdig entfernt, verlangsamt wie die übrige Situation. „Oh Gott … Camden!“

Chase schwang zu ihr herum. Er rief ihr zu, zurückzubleiben, aber da rannte sie schon. Sie breitete die Arme aus, und das weiße Witwengewand umflatterte sie wie zarte Mottenflügel, als sie ihrem Sohn entgegenflog. Ihrem sicheren und gewaltsamen Tod entgegen, wenn Chase zuließ, dass sie nahe genug an den Rogue herankam, der einst ihr geliebter Sohn gewesen war.

„Elise, bleib weg!“

Aber sie ignorierte ihn. Sie rannte weiter, obwohl ihre tränengefüllten Augen Camdens abscheuliche, furchterregende Erscheinung wahrnahmen. Sie würgte an einem Schluchzen, aber ihre Arme blieben geöffnet, und ihre Füße rannten weiter auf dem Rasen hinunter zum Kiesweg.

Aus den Augenwinkeln sah Chase, wie die Aufmerksamkeit des wilden, bernsteinfarbenen Rogue-Blicks sich Elise zuwandte.

Jetzt auf sie fixiert, ließ der blutrünstige Vampir ein schreckliches, lautes Knurren ertönen und sank in eine lauernde, sprungbereite Hockstellung. Chase wirbelte herum und warf sich zwischen Mutter und Sohn. Er hatte die Pistole gezogen und angelegt, bevor es ihm bewusst wurde.

Eine Sekunde tickte vorbei.

Elise kam immer noch auf sie zu, weinend und Camdens Namen rufend.

Chase maß im Geiste die Entfernung und wusste, dass ihm nur noch wenige Sekunden blieben, bis diese Konfrontation in eine Tragödie ausarten würde. Er hatte keine Wahl. Er musste handeln. Er konnte nicht danebenstehen und ihr Leben riskieren …

Der Knall des Schusses krachte wie Donner durch die Nacht.

Elise schrie. „Nein! O Gott -  neiiin!“

Chase stand da, taub, sein Finger zog immer noch den Abzug durch. Das Titangeschoss hatte sein Ziel direkt in die Mitte der Brust getroffen und den Rogue zu Boden geworfen. Das Todeszucken setzte ein und radierte alle Hoffnung aus, dass Camden von der Besessenheit der Blutlust gerettet werden könnte. Das Crimson hatte einen wandelnden Toten aus ihm gemacht. Jetzt war es zu Ende. Camdens Leiden war vorbei.

Das von Elise -  wie auch das von Chase -  hatte erst begonnen.

Sie raste auf ihn los and prügelte mit beiden Fäusten auf ihn ein. Sie traf sein Gesicht, seine Schultern, seine Brust, schlug auf alles ein, was sie treffen konnte. Ihre lavendelfarbenen Augen waren von Tränen überschwemmt, ihr schönes Gesicht bleich und verzerrt, ihre Stimme ertrunken im Schluchzen und Weinen, das aus ihrer Kehle strömte.

Chase ertrug die Züchtigung mit Schweigen. Was konnte er tun? Was gab es zu sagen?

Er ließ sie all ihren Hass an ihm auslassen, bis sie schließlich in einer Drehung neben ihrem Sohn zusammenbrach. Das Titan verwandelte seine Überreste schnell in Asche. Erst jetzt fand Chase die Kraft, sich zu bewegen. Er starrte auf ihre zusammengekauerte Gestalt auf dem Kiesweg, seine Ohren klingelten von den traurigen Geräuschen ihres Grams. Dann, in müdem Schweigen, ließ er die Waffe aus der schlaffen Hand fallen.

Er wandte sich ab -  von ihr, von seiner Zuflucht im Dunklen Hafen, die lange sein Heim gewesen war -  und ging allein in die Dunkelheit.

 

Dante wurde wachgerüttelt. Seine Augenlider flogen auf, sein Atem sägte in ihm. Er war zwischen Wänden aus Flammen gefangen, geblendet von Feuer und Asche. Unfähig, Tess zu erreichen. Er setzte sich auf, schwankend, die frische Vision in seinem Geist schnitt in sein Herz.

O Gott, wenn er versagt hätte …

Wenn er sie verloren hätte …

„Dante?“

Eine totale Erlösung durchflutete ihn beim Klang ihrer Stimme, bei der herrlichen Erkenntnis, dass sie da war, dass sie auf seiner Bettkante saß. Er hatte sie aus einem dämmrigen Schlaf geweckt. Sie hob den Kopf von den Armen, die Haare verwüstet, ihre freundlichen Augen von Schläfrigkeit beschattet.

„Dante, du bist wach.“ Ihre Züge hellten sich auf, und sie rückte zu ihm, streichelte seine Haare und sein Gesicht.

„Ich war so besorgt. Wie fühlst du dich?“

Er dachte, er müsste sich bedeutend schlechter fühlen, als er es tat. Er fühlte sich gut genug, um sie in seine Arme zu nehmen. Stark genug, sie neben sich ins Bett zu ziehen, wo er sie hingebungsvoll küsste.

Er war lebendig genug, um zu wissen, was er jetzt mehr brauchte als alles andere: ihren an ihn gepressten nackten Körper zu spüren.

„Es tut mir leid“, murmelte er. „Tess, es tut mir alles so leid, was du meinetwegen durchmachen musstest …“

„Psst, dafür haben wir später Zeit. Wir können all das später klären. Jetzt musst du dich ausruhen.“

„Nein“, sagte er, zu glücklich, dass er mit ihr zusammen war, um noch mehr Zeit mit Schlafen zu verschwenden.

„Was ich dir erzählen muss, kann nicht warten. Ich habe heute etwas Schreckliches erfahren. Ich habe erfahren, wie es wäre, dich zu verlieren. Das ist ein Ort, an dem ich niemals wieder sein will. Ich muss wissen, dass du beschützt wirst, dass du sicher bist …“

„Ich bin hier, Dante. Du hast mich gerettet.“

Er streichelte die samtene Haut ihrer Wange, so dankbar, dass er das jetzt tun konnte. „Du bist es, die mich gerettet hat, Tess.“

Er sprach nicht von seinen Verletzungen durch das Sonnenlicht, die sie mit ihrer erstaunlichen Gabe der Berührung geheilt hatte. Er sprach auch nicht von jener ersten Nacht, in der ihr Blut ihn in seinem schwächsten Moment gestärkt hatte. Tess hatte ihn auf so viele Arten gerettet, die weit über alldem standen. Diese Frau besaß ihn, sein Herz, seinen Leib und seine Seele, und er wollte, dass sie das jetzt erfuhr.

„Alles ergibt Sinn, wenn ich mit dir zusammen bin, Tess.

Mein Leben ergibt einen Sinn, nach so vielen Jahren, die ich verschreckt im Dunkeln auf der Flucht war. Du bist das Licht, der Grund, warum ich lebe. Ich bin so tief mit dir verbunden.

Es wird niemals eine andere geben.“

„Wir sind jetzt im Blut verbunden“, sagte sie, und ein leichtes Lächeln kräuselte ihre Lippen. Sie blickte zu Boden und runzelte die Stirn. „Wie wäre es, wenn du mich in der Nacht in der Klinik nicht gebissen hättest? Würdest du mich auch ohne die Blutsverbindung …?“

„Lieben?“, beendete er den Satz für sie und hob ihr Kinn, sodass sie die Wahrheit in seinen Augen lesen konnte. „Du warst es immer, Tess. Ich wusste es nur nicht bis zu dieser Nacht. Ich war mein ganzes Leben auf der Suche nach dir, verbunden mit dir durch die Vision von dem, was heute passiert ist.“

Er liebkoste ihr verwuscheltes Haar, drehte eine der honig-blonden Strähnen zu einer Locke um seinen Finger. „Weißt du, meine Mutter schwor immer bei ihrem Schicksal. Sie glaubte fest daran, obwohl sie wusste, dass ihr eigenes Schicksal sich in bitterem Schmerz und Verlust erfüllen würde. Ich wollte diesen Glauben niemals annehmen, wollte nicht akzeptieren, dass alles vorherbestimmt ist. Ich dachte, ich wäre zu intelligent für so was, ich glaubte darüber zu stehen. Aber es war das Schicksal, das uns zusammengebracht hat. Tess, ich kann das jetzt nicht mehr leugnen. Gott, Tess … hast du eine Ahnung, wie lange ich auf dich gewartet habe?“

„Oh, Dante“, flüsterte sie, eine einzelne Träne wegzwinkernd.

„Ich war nicht vorbereitet auf dies alles. Ich habe solche Angst …“

Er zog sie fest an sich, elend beim Gedanken daran, was sie gezwungen war für ihn durchzumachen. Er wusste, das Trauma der heutigen Ereignisse würde sie für eine lange Zeit begleiten.

So viel Tod und Zerstörung. Er wollte, dass sie nie wieder diese Art von Schmerz spüren musste. „Ich will wissen, dass du irgendwo bist, wo du immer sicher sein kannst, Tess. Wo ich dich völlig beschützen kann. Es gibt Orte, wo wir hingehen können, sichere Häuser, die dem Stamm gehören. Ich habe schon mit Chase gesprochen, damit er uns einen Platz in einer der Regionen der Dunklen Häfen sichert.“

„Nein.“ Sein Herz sank, als sie sich vorsichtig aus seiner Umarmung löste und sich auf ihren Knien neben ihm auf dem Bett niederließ. Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nein, Dante …“

O Gott, er konnte nicht sprechen. Er wartete in quälender Stille und wusste, dass er ihre Zurückweisung verdient hatte. Er verdiente ihre Verachtung aus so vielen Gründen, jetzt wo er sicher war, ihr etwas zu bedeuten. Er betete, dass er das tat.

Wenigstens ein kleines bisschen.

„Tess, wenn du sagst, dass du mich nicht liebst …“

„Ich liebe dich“, sagte sie. „Ich hebe dich mit meinem ganzen Herzen.“

„Was dann?“

Sie sah ihn prüfend an. Ihre hellblauen Augen waren feucht, aber entschlossen. „Ich bin es müde, zu fliehen. Ich bin es müde, mich zu verstecken. Du hast mir die Augen für eine Welt geöffnet, von der ich nicht im Traum gedacht hätte, dass es sie gibt.

Deine Welt, Dante.“

Er lächelte die Schönheit, die neben ihm saß, an. „Meine Welt bist du.“

„Und das alles hier auch. Dieser Ort, diese Leute. Dieses unglaubliche Vermächtnis, von dem du ein Teil bist. Deine Welt ist dunkel und gefährlich, Dante, aber sie ist auch außergewöhnlich -  wie du. Wie das Leben. Verlange nicht von mir, davor wegzulaufen. Ich will mit dir zusammen sein, aber wenn ich in deiner Welt lebe, dann will ich es hier tun, wo du hingehörst.

Wo deine Familie ist.“

„Meine Familie?“

Sie nickte. „Die anderen Krieger hier und ihre Gefährtinnen.

Sie lieben dich. Ich habe das heute deutlich gesehen. Vielleicht werden sie mich nach einiger Zeit auch lieben.“

„Tess.“ Dante zog sie an sich, umarmte sie aus vollem Herzen und mit einer Dankbarkeit, die sich in seiner Brust erhob, als ob sie mit Flügeln geboren wäre. „Du würdest mit mir hier so leben wollen, als Gefährtin eines Kriegers?“

„Als Gefährtin meines  Kriegers“, berichtigte sie ihn und lächelte ihn mit leuchtender Liebe in den Augen an. „Ich kann es gar nicht anders wollen.“

Dante schluckte in seiner austrocknenden Kehle. Er hatte sie nicht verdient. Nach all dem endlosen Flüchten hatte sein Herz endlich ein Heim gefunden. Mit Tess. Mit seiner Geliebten.

„Was glaubst du?“, fragte sie ihn. „Kannst du damit leben?“

„Bis in alle Ewigkeit“, versprach Dante, zog sie aufs Bett und besiegelte ihren Pakt mit einem gefühlvollen, endlosen Kuss.

 

 

Ende

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